Tech-Bewertungen unter Druck: Warum Gold kurzfristig mitgezogen wird

Der Hype um Künstliche Intelligenz (KI) hat die Aktienmärkte monatelang befeuert und die Indizes auf Rekordhöhen getrieben. Jetzt zeigen sich klare Risse in der Fassade. Die Bewertungen sind historisch überdehnt, die Euphorie weicht einer spürbaren Nervosität, und eine Korrektur scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Für Anleger geht es nicht mehr um das ob, sondern um das wann und wie stark diese Neubewertung ausfallen wird.

Wir blicken heute auf den entscheidenden Kollateralschaden dieser Entwicklung: Warum ein Abverkauf im Tech-Sektor den Goldpreis, den vermeintlich sicheren Hafen, kurzfristig mit nach unten ziehen dürfte. Dieser Mechanismus wird oft übersehen, ist aber für das Portfolio-Management in den kommenden Monaten essenziell.

 

Warum der KI-Sektor jetzt anfällig ist

Die Anfälligkeit des KI-Sektors basiert nicht auf vagen Vermutungen, sondern auf harten, messbaren Fakten. Drei Faktoren sind für die aktuelle Instabilität verantwortlich und erhöhen das Risiko einer scharfen Korrektur signifikant:

 

  • Bewertungen jenseits der Realität: Im Markt werden Zukunftserwartungen gehandelt, die selbst die optimistischsten Prognosen weit übertreffen. Viele KI-Titel weisen Multiplikatoren auf (gemessen an Kurs-Gewinn- oder Kurs-Umsatz-Verhältnissen), die fundamental nicht mehr tragfähig sind. Diese extremen Bewertungen preisen eine makellose Zukunft ein und bieten keine Sicherheitsmarge (Margin of Safety) mehr für Verzögerungen oder Enttäuschungen.

 

  • Eine Rally auf wenigen Säulen: Der gesamte Aufschwung der Leitindizes wurde primär von einer sehr kleinen Gruppe von „Mega-Caps“ getragen. Diese Konzentration ist ein klares Risiko. Der breite Markt konnte mit der Performance dieser wenigen Zugpferde nicht Schritt halten. Brechen diese wenigen Stützpfeiler weg, etwa durch eine Gewinnwarnung oder regulatorische Eingriffe, fehlt dem Markt die Breite, um den Fall aufzufangen.

 

  • Wachsende Skepsis der Experten: Die Warnungen von Analysten und Institutionen, die den Boom lange Zeit positiv begleitet haben, werden lauter. Ole Hansen von der Saxo Bank spricht von deutlichen „Ermüdungserscheinungen“. Ein „Reset“ der Erwartungen wird als notwendig erachtet, wobei Korrekturen von 10–20% im Technologiesektor als realistisches Szenario gelten.

 

Der Mechanismus des Deleveraging

Die wahre Gefahr für den Gesamtmarkt liegt nicht in einer langsamen, geordneten Abkühlung, sondern in einem plötzlichen Volatilitätsschock. Wenn ein Sektor, in dem derart viel Kapital gebunden ist und in dem massiv mit Hebel agiert wurde, abrupt fällt, löst das eine systemische Kettenreaktion aus.

Im Fachjargon heißt dieser Vorgang Deleveraging. Anleger, die ihre Positionen mit Hebel (Fremdkapital) aufgebaut haben, um die Rendite in der Aufwärtsphase zu steigern, geraten unmittelbar unter Druck. Der Hebel, der zuvor die Gewinne multipliziert hat, multipliziert nun die Verluste.

Fallende Kurse vernichten die hinterlegten Sicherheiten. Dies führt unweigerlich zu „Margin Calls“ durch die Broker, der Aufforderung, sofort frisches Kapital nachzuschießen, um die Positionen offen zu halten. Wer das nicht kann, dessen Positionen werden vom System automatisch zwangsliquidiert. Dieser Vorgang ist nicht rational, er ist mechanisch und beschleunigt den Abverkauf massiv, da Verkäufe weitere Verkäufe auslösen. In einer solchen Phase zählt nur noch eines: Liquidität.

 

Warum der sichere Hafen kurzfristig fällt

An diesem Punkt wird die Situation für Gold-Investoren kritisch. Sie müssen damit rechnen, dass der Goldpreis, entgegen seiner traditionellen Rolle als sicherer Hafen, ebenfalls nachgibt und dem Aktienmarkt temporär folgt.

Der Grund ist technischer, nicht fundamentaler Natur: In einer Liquiditätskrise schlägt Liquidität die Strategie.

Investoren, die hohe Verluste in ihren Tech-Positionen realisieren, benötigen dringend Barmittel. Sie müssen ihre Margin Calls bedienen oder ihre Gesamtportfolios stabilisieren. Um an dieses Geld zu kommen, verkaufen sie, was schnell und einfach zu Geld gemacht werden kann.

Gold ist hochliquide. Zudem notierte es in den vergangenen Monaten oft selbst im Gewinn. Für einen Fondsmanager oder einen privaten Investor unter Druck ist die Entscheidung rational: Er löst seine profitablen Gold-Positionen auf, um die Verluste im Aktienbereich zu decken oder seine Liquiditätsquote zu sichern.

Es kommt zu den „kurzfristigen Gold-Liquidationen“, vor denen Hansen warnt. Dieses Muster war bereits in früheren Krisen (etwa im März 2020) zu beobachten: In der akuten Panikphase fällt Gold gemeinsam mit den Aktien, da es als Liquiditätsquelle dient.

 

Rauschen versus Signal: Die langfristige Perspektive

Für strategische Investoren ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Ebenen essenziell. Ein Volatilitätsschock ist ein technisches, temporäres Ereignis.

Er ändert nichts an den fundamentalen, langfristigen Treibern für Gold. Die Kernargumente wie Inflationsschutz, geopolitische Absicherung und die Sorge vor untragbarer globaler Staatsverschuldung bleiben nicht nur intakt. Sie werden durch die Instabilität an den Aktienmärkten und die wahrscheinliche Reaktion der Notenbanken (potenzielle Zinssenkungen zur Stützung der Wirtschaft) mittelfristig sogar gestärkt.

Kurzfristige, technisch bedingte Preisrücksetzer sind für Langfrist-Investoren kein Grund zur Panik. Sie sind das „Rauschen“ des Marktes, das vom eigentlichen, fundamentalen Signal unterschieden werden muss. Während taktische Händler auf die Volatilität reagieren, behalten strategische Anleger das langfristige Bild im Auge.